Das Motiv Unzufriedenheit als Treibstoff für Veränderung
Würdigen Sie die Fehlversuche!
Ob privat im Gespräch mit einer Freundin, die Unterstützung anfragt oder im beruflichen Kontext der Beratung werden oft die Zielfragen gleich zu Beginn gestellt:
"Was willst du verändern?" oder "Wo willst du hin?"
Diese Fragen mögen allenfalls als erwartetes Ritual zur Einleitung gestattet sein, haben aber zu diesem Zeitpunkt kaum mehr Wirkung als ein Small Talk, da die Antworten sich im Kopf der Vorstellungen abspielen.
Die Gefühle und Wertekonflikte im Hintergrund bedürfen eines stärkeren Verständnisses für die Unzufriedenheit und den erlebten Engpass. Denn: Unzufriedenheit ist der wichtige Motor auf dem Weg zu mehr Zufriedenheit.
Wer unzufrieden ist, kreist oft um sich selbst. Die einfache Frage, "was macht dich unzufrieden?" löst Vorwürfe an andere oder an sich selbst aus.
Solche Klagen über das Übel blockieren. Es kommt nicht mehr zum Verstehen, dass die momentan erlebte Unzufriedenheit eine wichtige Station eines längst begonnenen Veränderungsprozesses ist.
Analytisches Verstehen des „Warum?“ und Überlegungen zu „Wie geht es besser?“ überfordern den Beratungsprozess zu diesem Zeitpunkt, denn das spielt sich nur im Kopf ab.
Die gegenwärtig erlebte Unzufriedenheit ist meist ein krisenhafter Übergang mit Emotionen aus dem Hintergrund. Den vorhandenen Ängsten, Vertrautes zu verlieren, stehen die Bedürfnisse zur Veränderung für eine verbesserte Lebenswertigkeit entgegen.
Es ist ein Zustand der Verknappung, der die Wahrnehmung für vorhandene Ressourcen einschränkt und im Gehirn zur Auswahl alter Notfallprogramme führt.
Den Schalter umlegen: Von der Negativ- zur Positiv-Spirale
Statt wirkungslos die gespürte Unzufriedenheit mit neuen Lösungsbemühungen oder Resignation zurückzudrängen, öffnet sich durch die Wertschätzung bereits unternommener Lösungsversuche, gerade dann, wenn diese gänzlich oder teilweise gescheitert sind, ein neuer Ausgangspunkt, die eingeschlagene Richtung weiterzuverfolgen.
Die Wertschätzung der Absicht zur guten Änderung zu kommen, schafft neue Energie, die den Schalter umlegt. Von der Negativ-Spirale der Problemenergie zu einer Positiv-Spirale der proaktiven Lösungssuche. Dann wird Unzufriedenheit wieder zum Treibstoff für neue Bewegung auf veränderten Lösungswegen.
Mehr noch:
Wenn Sie in der Beratung Ihre verstehende Haltung einbringen die vermittelt, dass Unzulänglichkeit zum Menschsein gehört und der erste Schritt mit der Absicht zur Veränderung schon gemacht ist, vertiefen Sie die Beratungsbeziehung.
Und so setzen Sie es praktisch um:
Statt Ihrer Freundin die Rat sucht oder in einer beruflichen Beratung zu raten, würdigen Sie die Bemühungen. "Da hast du dich sehr engagiert" oder „Da hast du viel auf dich genommen." Entscheidend ist Ihre Haltung, würdigen zu wollen. Dann werden Sie intuitiv und mitfühlend etwas sagen, was für diesen Kontakt gerade passt.
"Unzufriedenheit ist der
erste Schritt zum Erfolg."
Oscar Wilde
Anregungen zur Strategieentwicklung für Sie ...
- ... persönlich:
Verstehen Sie den nächsten Fehlversuch als Versuch in einer Versuchsreihe, in der Sie beim nächsten Mal etwas anderes ausprobieren.
Achten Sie auf Ihre Selbstgespräche. Sind die unterstützend, wie: „Das schaffst du schon!“ Oder abwertend, wie: „Das hat sowieso keinen Sinn.“ Ein würdevolles Selbstbild aufzubauen braucht Zeit. Positive Selbstgespräche können dabei unterstützen. Üben Sie zum Beispiel abends im Badezimmer vor dem Spiegel: „Was ich gut an dir finde, ist…“
- ... als Beraterin und Berater:
Im Würdigen der Fehlversuche helfen Sie Ihren Klienten ein Bewusstsein zur eigenen Würde zu bekommen, die darin liegt, dass es in Ordnung ist, unzulänglich zu sein.
Statt zu raten: Laden Sie zum Erfahrung machen ein, ermutigen und inspirieren Sie. Sollten Sie selbst, so wie viele Beraterinnen und Berater aus ihrer Kindheit, Entwürdigungs-Erfahrungen haben, so wird die Würdigung der Unzulänglichkeiten Ihrer Klienten dazu beitragen, nach und nach Ihre eigene Entwürdigungswunde zu heilen.
- ... als Leitung:
Installieren Sie Fehlerkultur, aufbauend auf Vertrauen. Unterstützen Sie Fehler als Fehlversuche zu betrachten, die kommuniziert werden, um fruchtbar gemacht, um abgestellt und korrigiert - oder einfach nur akzeptiert zu werden.
Gehen Sie mit Beispiel voran und äußern Sie im Kritikgespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Beginn einen eigenen Fehler – nicht als Methode sondern als Haltung.
Menschen und Organisationen sind einzigartig.
Deshalb muss Strategieentwicklung individuell zu der bisherigen Entwicklung der einzelnen Menschen und der einzelnen Organisation passen. Strategie passt sich deshalb zunächst dem Vorhandenen an und würdigt das was schon da ist. Das betrifft auch die Fehlversuche, die ein Entwicklungsstadium sind. Als solche sind die Bemühungen, auch die gescheiterten, zu würdigen.
Wenn Sie den letzten Beitrag verpasst haben, wie Berater*innen selbstbestimmtes Lernen und selbstbestimmte Ziele ihrer Kunden unterstützen,
können Sie den hier nachlesen.
Selbstbestimmen - Permissivität als Haltung